Mut

Gestern habe ich wieder den Menschen Raum gegeben, die sonst aus Angst schweigen. Sie sind dünnhäutig geworden und verspüren keine Kraft mehr. Geblieben ist mir ihr Trauer und ihr Mut, den das habe ich mit nach Hause getragen. Traurig gemacht hat mich die Erzählung meiner ältesten Gesprächspartnerin. Sie erzählte, daß sie aus Angst, sie könne ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen, nur noch ihre Küche heizt. Mein Blick fiel auf ihre von Arthritis deformierten Finger. Weiter berichtete sie von der Kochkiste ihrer Mutter, die sie noch im Keller stehen hätte. Ein Relikt aus Kriegszeiten und ihrer Hoffnung, ohne weiteren Krieg vor der Haustür, von dieser Welt zu scheiden. In unserem ehemals freien Land darf man so etwas nicht laut sagen. Mir sind wieder viele Begebenheiten eingefallen, die mir in der Altenpflege begegnet sind. Mehr als einmal habe ich einen von Schweiß bedeckten Patienten geweckt, dem im Schlaf Tränen über sein Gesicht gelaufen sind. So habe ich ungefragt vom Schrecken des Krieges erfahren, die sie, als sechzehnjährige Jungs erlebt und bis heute nicht verarbeitet haben. Ich erinnere mich an die vielen Demonstrationen für den Frieden und gegen die Vernichtung unseres Lebensraumes. Heute frage ich mich, ob ich mit meinem Handeln den Unfrieden und das überzogene Ausnutzen von Ressourcen, dadurch gefördert habe. Die Macht der Angst und die Lieblosigkeit für alles, was ist, zeigen sich gerade überall auf der Welt. Ich durfte die alte Dame in die Arme nehmen, und ihr Trost spenden. Ich konnte anregen, ins Vertrauen zu kommen, daß unsere Politiker um die Geschichte wissen. Sie werden es schaffen, diese kriegerischen Auseinandersetzungen durch Gespräche zu beenden. Geweint habe ich trotzdem.

Hamburg Dulsberg, 1. März 22

In der Bibel steht: „Ich habe meinem Volk mitgeteilt, daß es sagt, was es hat. Und es hat, was es sagt“. Sprache ist eine schöpferische Kraft.

Reden wir und denken wir: Frieden und Liebe! Danach handeln ist gleich wichtig. Meinen Gesprächspartnern danke ich für ihr Vertrauen und die offenen Worte.