Es ist eine interessante Frage, die ich von einem jüngeren Menschen gestellt bekommen habe. Er selbst hat zerstörte Städte in seinem Leben noch nicht gesehen. Auch in seiner Familie gibt es keine Menschen, die davon berichten können, oder Fotos in ihrem Besitz haben, die aus dieser Zeit stammen. So berichte ich über mich und meine Eindrücke, die ich als Kind und Jugendliche wahrgenommen habe. Ich heische nicht um Mitleid, denn mit dem Erlebten habe ich meinen Frieden gemacht und meinen Ahnen vergeben. Ich habe mich weiterentwickelt; das sind Möglichkeiten, die meine Familie nicht genutzt hat, aus welchen Gründen auch immer. Ich verurteile bis heute Streit, in jeglicher Form, und habe seit frühester Kindheit gelernt, Fragen zu stellen. Ich habe auch verstanden, dass nicht alle beantwortet werden und fragen zu Schweigen und Ausgrenzung geführt haben. Ich bin in Kiel aufgewachsen. Als Marinestadt mit großer Werft, ist auch Kiel stark bombardiert worden. In einigen zerstörten Häusern habe ich noch gespielt, ohne zu wissen, dass es Kriegsschäden gewesen sind. Die letzten Kriegsschäden sind in den 70er Jahren verschwunden. Kiel hatte das Glück, 1972 die olympischen Segelwettbewerbe auszurichten. Schöne alte, notdürftig reparierte Häuser wurden abgerissen und neue gebaut, nur wenig wurde von dem alten Stadtkern erhalten. In meiner Erziehung haben meine Geschwister und ich oft gehört:“ Du weißt nicht, wie das ist, wenn man hungert; wenn der Magen schmerzt und knackt!“Meine Eltern haben Schläge erhalten, wenn sie in fremden Gärten geräubert haben, um Lebensmittel zu besorgen. Sie haben den kargen Raub nach Hause getragen, und mit allen geteilt. So habe ich noch von Oma und Mutter gelernt, aus dem Wenigen in der Küche, viel zu machen. In der Erziehung meiner Eltern hat es Schläge gegeben, wenn wir etwas nicht essen mochten, ebenso für Widerworte oder Fragen. In Oma` s Schublade habe ich noch Geldscheine gefunden, aus den Zeiten der Weimarer Republik.12 Billionen hatte auf dem Geldschein gestanden. Oma hat erzählt, dafür hat es damals, wenn sie Glück hatte, ein Brot bekommen. Kurzfristig habe ich gedacht, ich habe eine reiche Oma. Als kleines Kind habe ich das noch nicht verstanden. Ich hatte eine schweigsame Oma, die über den Krieg nicht geredet hat. Sie hat mich oft gerettet, wenn ich im Handarbeitsunterricht mit den Aufgaben nicht klar gekommen bin. Oma konnte alles und hatte die Geduld, die meiner Mutter fehlte. Es ist selbstverständlich gewesen, dass wir Kinder uns nach Schrauben und Nägeln, die auf der Straße gelegen haben, bücken mussten. Für meinen Vater sind es teure Schätze gewesen, auch, wenn sie krumm gewesen sind. Gehorsam und Benehmen gehörte zu meinem Leben dazu, wehe, wenn man nicht funktioniert hat. Es gab Strafen. Meinen Eltern steckte der Krieg noch in Herz und Kopf. Ich erinnere mich, wenn mein Vater nachts schreiend aufgewacht ist. Er hat es nie verwunden, dass er mit seiner Mutter an seiner Hand auf den Weg in den Bunker, mit den Schuhen in heißem Teer stecken geblieben ist. Er hatte sie Tage zuvor als 10 Jähriger, aus Trümmern nach einem Bombenangriff wieder ausgegraben. Sie stand immer noch unter Schock. So lauten auch die Geschichten der Patienten, die ich in der ambulanten Pflege betreut habe. Ich habe einige Patienten morgens geweckt. Sie hatten Tränen in den Augen. Ihre Träume waren schrecklich. Als 16 Jähriger, im Schützengraben und dem Soldaten neben ihm, seinem Freund, wurde der Kopf weggeschossen. Die Folgen des Krieges habe ich immer vor Augen gehabt, während meiner Ausbildung im Krankenhaus. Die Verwundungen der Heimkehrer, schwärende, stinkende, nicht heilende Wunden mussten weiter versorgt werden. Keiner von ihnen hat sich als Held gefühlt. So habe ich erst sehr viel später verstanden, warum der eine überlebende Opa nicht zu seiner Frau und seinen sieben Kindern zurück gekehrt ist. Meine Onkel und Tanten wurden durch Vergewaltigung gezeugt. Zwischen ihnen hat bis zu ihrem Tod, der Krieg geherrscht und das Unvermögen, miteinander zu reden. Hier lest ihr, warum ich für Frieden und ein Miteinander auf die Straße gehe. Ich bin zu einem liebenden und friedfertigen Menschen geworden. Es ist ein steiniger Weg mit den üblichen Ausgrenzungen der Zeit geworden. Ich bin die rote Emma gewesen, die Alternative, die Körnerfresserin, später die Frau Kultur. Mit Unwahrheiten und Denunzianten habe ich bis heute meine Probleme. Mein Geschichtswissen wurde mir in der Mädchen Mittelschule vermittelt. Auch wurde ich dort ermutigt, die Fragen zu stellen, die keiner hören mochte. In der Schule waren sie erwünscht. Sie wurden dort diskutiert. Allgemeinbildung, die selbstverständlich sein sollte, sehr intensiv über die Entstehung des zweiten Weltkrieges. Die Familienmitglieder, die jung ihr Leben im Krieg verloren haben, wurden von allen vermisst, auch von mir, denn ihre Geister haben immer mit am Tisch gesessen. Fragt Euch bitte, warum ihr für den Krieg seid. Auf allen Seiten sterben Menschen, die immer fehlen werden. Wofür? Ich hätte noch mehr zu erzählen. Ich hoffe, dieser kurze Eindruck genügt, damit ihr Euch dieser Frage stellt. Ich hatte eine schöne Kindheit, trotz der Erfahrungen. Ich habe für mich Konsequenzen gezogen und bin stolz und glücklich, dass mir mehr möglich gewesen ist, als meinen Eltern und Großeltern. Erst mit Mitte dreißig habe ich verstanden, warum mein Vater mich so behandelt hat. Er hatte Angst vor meiner Stärke.

Die Stadtschreiberin